Studie belegt: jahrelanger Stillstand – die Qualität im Talent Management bleibt weit hinter den Erwartungen zurück

D/A/CH-Unternehmen müssen ihr Talent- und Nachfolgemanagement unbedingt professionalisieren. Nur sehr wenige Unternehmen betreiben ein strategisches und systematisches Talent- und Nachfolgemanagement, um zentrale Schlüsselpositionen nachhaltig intern besetzen zu können. Ein Fehler, denn Personalrisiken gehören mittlerweile zu den Top-Bedrohungen für die globale Geschäftstätigkeit von Organisationen. Welche Auswirkungen kann eine ineffiziente und unstrategische Nachfolgeplanung haben? Wie können Unternehmen ihr Talent- und Nachfolgemanagement professionalisieren? Und welchen Beitrag leistet HR dabei?

Immer wieder ist in den letzten Jahren von „zunehmendem CEO-Verschleiß und Hals-über-Kopf-Entscheidungen auf oberster Ebene“ zu lesen (Egon Zehnder Studie 2021). Eine Metastudie der Economist Intelligence Unit brachte schon 2007 und in weiterer Folge auch 2018 das Dilemma auf den Punkt: Nach Einschätzung von CEOs stiegen in den letzten Jahren die Personalrisiken für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg merklich an und nehmen mittlerweile den ersten Platz im Risiko-Ranking ein. Die Qualität des effektiven Managements dieses Risikos landet jedoch auf dem drittletzten Platz (Abb. 1). Ein Zustand, der nicht tragbar ist. Wie gehen Unternehmen dieses Problem an und was tun sie, um dieses Missverhältnis aufzulösen?

Abb. 1: Einschätzung der Bedeutung von Risiken für den Unternehmenserfolg verglichen mit der Qualität der professionellen Handhabung dieses jeweiligen Risikos
(Quellen: Economist Intelligence Unit Survey, Fabig-Grychtol 2019)

Studie misst die Qualität des HR-Risikomanagements

2009 begann eine Studie der Universität Innsbruck, der Internationalen Hochschule SDI München – University of Applied Sciences – sowie der Transformation Management AG mit einer detaillierten Erhebung, wie und mit welcher Qualität Unternehmen ihre Potenzialträger:innen identifizieren und fördern, um zentrale Schlüsselpositionen nachhaltig intern besetzen zu können. Im Laufe der Studie wurde klar, dass die Analyse und die verschiedenen, ermittelten Kennzahlen detailliert auf das zentrale Personalrisiko-Thema abzielen. Wie professionell ein Unternehmen das Nachfolgerisiko managt, misst der „Talent Management Index® (TMI)“. Die Grundlage bildet das Konzept der Organizational Maturity oder des Reifegrads von Organisationen.

Das Modell klassifiziert im Talent- und Nachfolgemanagement vier Reifegradstufen:

Reifegrad 1 (situativ/adhoc): Das Talent- und Nachfolgemanagement wird je nach Situation und Herausforderung in der Organisation unterschiedlich praktiziert.

Reifegrad 2 (standardisiert): Es gibt Tools oder Methoden, die standardisiert eingesetzt werden sollen; die Umsetzung erfolgt nicht durchgängig.

Reifegrad 3 (prozessorientiert/gemessen): Das Talent- und Nachfolgemanagement wird konsequent gemanagt, die Qualität gemessen und kontinuierlich optimiert.

Reifegrad 4 (strategisch): Das Talent- und Nachfolgemanagement ist durchgängig strategisch und zukunftsorientiert ausgerichtet und weist ein aktives Risikomanagement auf.

Mittlerweile umfasst der „TMI® 1.0“ seit seinem Start mehr als 400 Unternehmen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Seit 2014 ist das Instrument als Panel angelegt („TMI® 2.0“) und ermittelt periodisch die Entwicklung der teilnehmenden Organisationen im Talent- und Nachfolgemanagement. Dies gestattet einen noch detaillierteren Überblick über die Systematik und das aktive HR-Risikomanagement. Sie erhalten die jeweilige Kenngröße mit detaillierten Erklärungen dazu, in welchem Reifegrad das Talent- und Nachfolgemanagement organisiert ist. Darüber hinaus bekommen sie Hinweise, wie sie Talentmanagement und Nachfolgeplanung professionalisieren können. Die Rückmeldungen der Verantwortlichen – auch auf sehr kritische Befunde – bestätigen die Angemessenheit und Aussagefähigkeit des Beurteilungskonzepts.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass weniger als 10 Prozent der teilnehmenden Organisationen ein systematisches Talent- und Nachfolgemanagement im Reifegrad 4 betreiben. Der unmittelbare Vergleich des unteren mit dem oberen Viertel aller untersuchten Firmen zeigt die Relevanz eines systematischen, durchgängigen Talent- und Nachfolgemanagements:

  • Unternehmen mit professionellem Talentmanagement weisen eine um 15 Prozent höhere Arbeitgeberattraktivität aus (Graf/Laske 2025).
  • Diese Organisationen sind außerdem unternehmerisch erfolgreicher. Der Umsatz pro Mitarbeiter liegt bei den Betrieben des Top-Quartils um 40 Prozent höher als bei den Unternehmen des Bottom-Quartils.
  • In den Unternehmen an der Spitze werden nur 25 Prozent der zu besetzenden Positionen von extern engagiert. Im unteren Viertel ist es bei einer Quote von über 60 Prozent externen Akquisitionen fast genau umgekehrt. Für die Organisation ist Letzteres riskant und unwirtschaftlich, denn eine interne Besetzung ist finanziell deutlich günstiger, weniger risikobehaftet und passgenauer und geht mit einer höheren Bindung an das Unternehmen einher.

Die Qualität des Talent- und Nachfolgemanagements stagniert seit zehn Jahren

Grundsätzlich zeigt die Studie, dass Organisationen das Talent- und Nachfolgemanagement in Organisationen nach wie vor vernachlässigen – obwohl sie seine Bedeutung für die Entwicklung und Erfolgssicherung von Unternehmen hervorheben. Die Qualität des Talent- und Nachfolgemanagements aller Unternehmen befindet sich sowohl nach TMI 1.0 als auch nach TMI 2.0 im Reifegrad 2. Sie hat sich damit in den letzten zehn Jahren kaum weiterentwickelt (Abb. 2).

Abb. 2: Entwicklung des Talent Management Index von 1.0 zu 2.0 aller beteiligten Unternehmen
(Quelle: Talent Management Index 1.0 und 2.0)

Das von den meisten Verantwortlichen als zentrales HR-Thema herausgehobene Talentmanagement wird in den Unternehmen de facto nur selten professionell gemanagt.

Was können Unternehmen tun?

Um ihr Talent- und Nachfolgemanagement nachhaltig zu professionalisieren und dessen Qualität zu verbessern, können Unternehmen einiges tun. Die Kernerkenntnisse der Studie lassen folgende Trends erkennen:

Unternehmen sollten weg von …… hin zu …
heterogenen, oft unscharfen und vereinfachten Bildern zu Ziel und Zweck eines strategischen Talent- und Nachfolgemanagementseinem gemeinsam getragenen Verständnis über Sinn, Vision, Nutzen eines strategischen Talent- und Nachfolgemanagements
einem eher mühsam und schwer empfundenen Talent- und Nachfolgemanagementeinem leichten, selbstmotivierten und neugierigen Zugang, in dem gemeinsames Lernen und Experimentieren im Mittelpunkt stehen
einem klar definierten und identifizierten Talentepooleinem vielschichtigen, bunten Strauß an Potenzialträger:innen, die sich auf unterschiedliche Art „auf den Weg machen“
einem an klassischen Lernelementen ausgerichteten Entwicklungsprogrammeiner selbstverantwortlichen Netzwerk- und Lernarchitektur zur Weiterentwicklung der Gesamtorganisation
Intransparenz und verdeckter Identifikation von Talenteneinem offenen, transparenten Talent- und Nachfolgemanagementzyklus, der die Gesamtorganisation umfasst
Tool- und IT-Gläubigkeitstärkerer Verantwortung von Führungspersonen und stärkerer Leadership-Kompetenzentwicklung

Welche Aufgaben kommen auf das HR-Management zu?

Um das Talent- und Nachfolgemanagement zu professionalisieren und strategisch anzugehen, kann HR einen wichtigen Beitrag leisten.

  1. In Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem Vorstand sollte HR ein übergeordnetes Zielbild erarbeiten, das die Gesamtthematik, inklusive der Macht-DNA-Fragen, erfasst. Sie können beispielsweise eine Future Story erarbeiten, die spannend und positiv erzählt, wie verschiedene Personen im Unternehmen das neue Talentmanagement konkret erleben.
  2. HR kann an diesem Zielbild mit Unternehmensbereichen und Verantwortlichen arbeiten und positive Energie entlang einer Talentmanagement-Landscape nutzen (PRYSMA-Felder; Graf/Laske 2025 – mehr zu PRYSMA im nächsten Blogbeitrag). Empfehlenswert ist es, Felder der Landkarte in jenen Organisationsbereichen zu „bespielen“, in denen zurzeit konkreter und aktueller Handlungsbedarf und Handlungswille bestehen.
  3. Ein konsequent aufgebautes Talent-Dashboard als Succession-Risk-Tool dient dem Erfolgsnachweis im Sinne des Return on Investment des Talent- und Nachfolgemanagements. Wichtig ist es, entlang des Talentmanagementprozesses jene Messpunkte festzulegen, an denen ohne Zusatzaufwand Kenngrößen ermittelt werden können, die auch von HR unmittelbar beeinflussbar sind.

Wie die Ergebnisse und auch Gespräche mit Verantwortlichen immer wieder zeigen, ist in diesem zentralen Aufgabenfeld des Personalbereiches noch sehr viel zu tun. HR bietet sich die einmalige Gelegenheit, das Personalrisiko proaktiv zu gestalten und damit einen nachweisbaren Beitrag für den langfristigen Erfolg des Unternehmens zu leisten.

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