Heuristische Kompetenz – Von Archimedes zu Mark McCormack

Die Anekdote über Archimedes ist bekannt. In der Badewanne liegend entdeckte er das Prinzip des statischen Auftriebs, was ihm den Ausruf „Heureka!“ („Ich hab‘s gefunden“) entlockte. Damit konnte Archimedes die knifflige Aufgabe lösen, den Goldgehalt der Krone seines Königs zu schätzen. Weniger bekannt dürfte die Kaprice des legendären Sportpromotors Mark McCormack (1930–2003) sein. Er schürfte nach jenen Fähigkeiten, die im Leben tatsächlich erfolgsbestimmend sein können. McCormack beobachtete, wie sich Menschen mit allenfalls ausreichender Schulbildung in komplexen Situationen klaglos zu helfen wussten und dabei auch noch gelassen blieben. Er nannte diese Fähigkeit street-smart.

Die Essenz der heuristischen Kompetenz

Street-smart oder Gewusst-wie beschreibt genau den Kern der heuristischen Kompetenz. Wenn morgen alles schon wieder ganz anders sein kann und die Pendelausschläge immer häufiger und heftiger werden, helfen in der Führungs- und Projektarbeit weder Rezeptwissen noch fachliche Souveränität weiter. Unter diesen Bedingungen rücken rar gewordene persönliche Ressourcen in den Vordergrund, mit deren Hilfe neuartige, unübersichtliche oder, wie es so schön heißt, „schlecht definierte“ Situationen gemeistert werden können (Abbildung 1).

Heuristische Kompetenz
Abbildung 1

Die Vermeidungshaltung überwinden

Neuartige Situationen erzeugen oft Angst oder lösen Stress aus. Vermeidung ist hier eine attraktive Handlungsoption. Wer allerdings aus unübersichtlichen Situationen immer wieder flüchtet, wird sich zunehmend als hilflos erleben. Ein schrittweises, bewusstes Eintauchen in fordernde Situationen mit der Hilfestellung durch einen Coach oder Mentor ist ein vielversprechender Weg, um die heuristische Kompetenz auch noch in der Reifephase des Lebens zu entwickeln.

Keine Scheu vor Heuristiken

Heuristische Kompetenz besteht nicht im „Einfach-Drauflos-Werkeln“, in der Hoffnung, dass alles schon gut gehen wird. Sie greift vielmehr auf bewährte Daumen- oder Faustregeln zurück; auf Lösungswege, die zwar nicht perfekt, aber zweckmäßig sind; oder auf die Erinnerung an ähnliche Situationen, die Analogieschlüsse auf das Jetzt erlauben. Natürlich ist ein solches bruchstückhaftes Wissen nicht ohne Risiko. Aber bei hoher Komplexität ist es dem vermeintlich logischen Denken meist überlegen.

Der Intuition Raum geben

Auch die Intuition liefert Erkenntnis ohne bewusstes Nachdenken. Sie arbeitet ohne Anstrengung – und vor allem rasch. Die Intuition schlummert im Vorbewussten. Das ist jener Bereich der Psyche, der als „Zensor“ Teile aus dem Unbewussten ins Bewusstsein entlässt. Ein kleiner Anstoß von außen genügt oft, um das Türchen zum Vorbewussten zu öffnen. Es besteht aus komprimierter Lebenserfahrung und speist sich aus Erinnerungen und Wissensinhalten, die durch Aufmerksamkeit in das Bewusstsein gelangten. Das heißt: Wir wissen eigentlich viel mehr, als wir glauben zu wissen.

Den Mut zum Improvisieren aufbringen

Wer über die Fähigkeit des Improvisierens verfügt, vermag ohne Vorbereitung und aus dem Stand zweckmäßig zu handeln oder sogar das Beste aus einer vertrackten Situation zu machen. Bei hoher Unbestimmtheit hinkt ein Plan der Realität ohnedies immer hinterher, weil sich die Bedingungen laufend ändern und gegenseitig beeinflussen. Durch Improvisieren besteht immerhin die Chance, der Realität die Stirn zu bieten und Zweck und Ziel doch zu erreichen.

Der Wert der heuristischen Kompetenz

Wer heuristisch kompetent ist, verfällt nicht so leicht in Notfallreaktionen. So etwa in die Aggression als Selbstschutz gegen den Kontrollverlust; in den Rückzug als Zuflucht in das Gewohnte; in die Resignation zur Dämpfung negativer Gefühle; oder in die Regression als Rückfall in alte Kindheitsmuster.

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