Teil 2: Was macht die Führung von Familienunternehmen so besonders?

Die reziproke Loyalität und das damit verbundene Sich-Verantwortlich-Fühlen besitzt zweifelsohne etwas Familienhaftes, ein Umstand, der viel dazu beiträgt, dass diese Art von Führungskultur und die damit verknüpften Praktiken alltagssprachlich gerne als „patriarchalisch“ bezeichnet werden. (Lesen Sie in Teil 1 des Blogbeitrags über die Organisationskultur in Familienunternehmen.)

Das spezifisch „Unternehmerische“ an der Führung von Familienunternehmen

Befreit man den Begriff des „Patriarchalischen“ von seinen dezidiert abwertenden Implikationen, dann begegnet einem in Familienunternehmen eine Art von Führungspraxis, die man im klassischen Sinne zurecht als unternehmerisch bezeichnen kann.

Gemeint ist damit das untrügerische unternehmerische Gespür der Spitze für das erfolgreiche Setzen von strategischen Weichenstellungen, eine enge Bindung an und eine besondere Nähe zu den erfolgskritischen Kunden, ein ständig mitlaufendes, aufwandsarmes Innovationsgeschehen, das Steuern einer risikobegrenzenden und deshalb auf organisches Wachstum setzenden Unternehmensentwicklung, die konsequente Suche nach Finanzierungslösungen, die die eigene unternehmerische Unabhängigkeit nicht gefährden, das Nachbesetzen aus den eigenen Personalstand, um nach Möglichkeit die Rekrutierung von Quereinsteigern zu vermeiden, eine Ressourcenpolitik, die Sparsamkeit zum obersten Prinzip macht und die so aus dem permanenten Mangel möglichst viel an Wertschöpfung herauszuholen versucht, etc.

Solange ganz bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sind, entwickeln sich solchermaßen geführte Unternehmen ausgesprochen erfolgreich. Sie profitieren von ihren kurzen Entscheidungswegen, von ihrer inkrementellen Innovationskraft, von ihrer ausgeprägten Umsetzungsstärke und Flexibilität, von ihrem partnerschaftlichen Verhältnis zu ihren überlebenswichtigen Stakeholdern, von ihrer Resilienz im Umgang mit krisenhaften Schwankungen, von der hohen Einsatzbereitschaft ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, von der stabilen, auf Langfristigkeit ausgerichteten unternehmerischen Orientierung des Eigentümerkreises, etc. Diese charakteristischen Problemlösepraktiken, die seitens der Verantwortungsträger an der Spitze alle Energie auf das generationsübergreifende Fortbestehen des Unternehmens ausrichten, sind inzwischen gut erforscht. Man weiß allerdings auch, dass solche Unternehmen schnurstracks in eine massive Selbstgefährdung hineinlaufen, wenn ganz bestimmte erfolgskritische Rahmenbedingungen wegbrechen. 

Wann braucht es einen radikalen Musterwechsel in der Führung von Familienunternehmen? 

Dazu seien drei Punkte besonders hervorgehoben:

  • Unternehmer an der Spitze neigen dazu, in der Spätphase ihres Wirkens ihr besonderes Gespür für die Erfordernisse der Kunden und des Marktes, für anstehende technologische Erneuerungen, für notwendige personelle und organisatorische Veränderungen zu verlieren. Dann gibt es in ihrem Umfeld in der Regel keine Instanz, die sie daran hindern könnte, ihr eigenes Lebenswerk in eine schwere Krise zu steuern. 
  • Wenn Märkte einer sich beschleunigenden Veränderungsdynamik ausgesetzt sind, die vielfach disruptive Lösungen erfordert, wie sie zur Zeit etwa durch die Digitalisierung und durch die Klimakrise angestoßen werden, dann verlieren solchermaßen geführte Unternehmen nicht selten ihre angestammte Antwortfähigkeit. Ihre eingespielten Bewältigungsmuster erweisen sich als überfordert und nicht in der Lage, die nun unabdingbar gewordenen Transformationsprozesse in Gang zu setzen.
  • Der Wechsel an der Unternehmensspitze schafft unvermeidlicherweise ein Führungsvakuum, das bei allen Beteiligten innerhalb und außerhalb des Unternehmens erhebliche Irritationen auslöst. Die enorme Bündelung an Entscheidungskompetenzen an der Spitze hat an keiner anderen Stelle im Unternehmen Fähigkeiten wachsen lassen, die ein solches Vakuum zeitnah füllen könnten. Nachfolger von Außen (ob aus der Familie oder dem Fremdmanagement) können nicht auf das implizite Erfahrungswissen zurückgreifen und auch nicht auf jene breite Autoritätszuschreibung aufsetzen, die es bräuchte, um in einer überschaubaren Zeit in die Fußstapfen der Vorgänger, Vorgängerin reinzuwachsen. Diese Schwierigkeiten werden nicht einfacher, wenn im Generationswechsel eine Mehrpersonenkonstellation, dh ein Führungsteam die Verantwortung übernimmt. 

In all den beschriebenen Situationen, die sicherlich im Detail noch durch weitere ergänzt werden könnten, stehen in der Corporate Governance, wie auch in der Führung und Organisation solcher Unternehmen weitreichende Veränderungen an, für deren Bewältigung sie gerade wegen ihrer oft sehr langen Erfolgsgeschichte gar nicht gut gerüstet sind. Für den Umgang mit diesen Herausforderungen bringt der nächste Blog einige weiterführende Überlegungen.

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Das Buch „Führung und Organisation in Familienunternehmen“ beleuchtet die Eigenheiten in der Führung von Familienunternehmen und gibt Einblicke in die Möglichkeiten, wie sich auch diese Unternehmensformen an neue Rahmenbedingungen und die neuen Anforderungen anpassen können.

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